Der letzte Tag unserer Tour auf dem Rheinsteig ist gekommen und der hat es noch mal in sich: Rund 20 Kilometer mit stattlichen 1000 Höhenmetern stehen heute an. Und obendrauf gibt es hochsommerliche Wetteraussichten – bis zu 28 Grad kündigt unsere Wetter-App an. Nach einem zeitigen und guten Frühstück machen wir uns also flugs auf den Weg nach Rüdesheim.
Der Rheinsteig kommt auch ohne große Umschweife zur Sache. Kurz über den Marktplatz Lorchs, durch zwei schmale Straßen und auf geht’s nach oben, der obligatorische Anstieg beginnt. Der zieht sich heute gut in die Länge, denn er ist nicht ganz so steil, wie es bei früheren Etappen der Fall war, aber auch nicht mit weniger Höhenmetern ausgestattet. Und so steigen wir mit Blick auf die Weinberge unseres gestrigen Gastgebers entlang der Reben langsam aber stetig bergauf.
Unerwartetes Wiedersehen in den Weinbergen
Der breite Weg führt nun sehr lange entlang von Weinbergen und bietet zwar einen schönen Blick auf den Rhein, doch besonders abwechslungsreich ist das auf den ersten drei Kilometern nicht. Daher freuen wir uns umso mehr, zwischen den Weinreben noch einmal unseren Gastwirt aus Däuwels Küch aus Kaub wiederzutreffen, der hier gerade die Rebstöcke kontrolliert. Wir plaudern ein wenig mit ihm, ehe wir unsere Etappe auf dem Rheinsteig nach Rüdesheim fortsetzen.
Auf der gegenüberliegenden Rheinseite offenbart sich immer mehr ein wenig schöner Blickfang: der riesige Steinbruch neben der Burg Sooneck, der sich hier immer tiefer und immer breiter in Wald und Berg frisst. Als der Rheinsteig schließlich eine Kehre ins Landesinnere schlägt, sind wir nicht böse, dieses Trauerspiel nicht länger mit ansehen zu müssen.
Zwei Kehren ins Landesinnere
Die Kehre und die damit verbundene Abwechslung ist allerdings nicht von allzu langer Dauer. Nach einem kurzen, leichten Abstieg setzt sich der Rheinsteig nun fast eben verlaufend so fort, wie wir ihn vom frühen Morgen kennen: entlang von Weinbergen und mit Blick auf den Rhein. Weitere zwei Kilometer gehen wir derart weiter und allmählich steigen die Temperaturen, die Wetter-App wird wohl Recht behalten.
Nun folgt eine weitere Kehre des Rheinsteigs ins Landesinnere, doch diese hat es in sich: Es geht steil bergauf an den Hängen des Teufelskadrichs. Aber wir sind dankbar für die Abwechslung und überdies verläuft dieser Teil des Weges nun auch im Schatten hoher Bäume, vorbei an Kiefern, Felsen und Birken und immer wieder wird der anstrengende Teil auch mit schönen Ausblicken versüßt. Es könnte also weit schlimmer sein.
Assmannshauser Höllenberg
Der Rheinsteig schlägt nun wieder den Weg zum Fluss ein und führt auf gut vier Kilometern bergab. Nun allerdings wieder weitgehend ohne Schatten. Wir passieren den Assmannshauser Höllenberg, der an diesem Tag bei praller Sonne und Temperaturen jenseits der 25-Grad-Marke seinem Namen alle Ehre macht. Wir sehen Asmannshausen vor uns liegen und nun hat der Rheinsteig eine nette Überraschung für uns.
Denn jetzt führt uns der Weg hinab fast bis auf die Höhe des Flusses und in den Ortskern von Assmannshausen – wenngleich diese Bezeichnung für das Weinbrand-Dorf (hierher kommt der Asbach Uralt) etwas zu hoch gegriffen erscheint. Danach geht es selbstverständlich wieder bergauf – und zwar besonders qualvoll.
Quälender Aufstieg zum Rittersaal
Denn nun schließt sich nicht nur ein breiter, sich in weiten Serpentinen langsam den Berg hinaufwindender Fahrweg an, nein, es gibt noch ein besonderes Sahnehäubchen. Denn über uns verläuft auch noch eine Seilbahn. Sie scheint uns höhnisch anzulächeln, während wir den Berg hochschnaufen. Der Schweiß rinnt in Bächen und natürlich bilden wir uns ein, die gehässigen Kommentare der Seilbahn-Passagiere über uns zu hören. Selbstredend ist das Unsinn, demotiviert aber trotzdem ungemein.
Doch irgendwann ist auch dieser Aufstieg geschafft, so viel geflucht wie auf dieser Strecke habe ich allerdings weder vorher noch nachher jemals. Oben angekommen geht es am Jagdschloss Niederwald und der Zauberhöhle vorbei bis zum ehemaligen „Rittersaal“ wo ein steinernes Podest mit Rheinblick auf uns wartet.
Am Niederwald-Denkmal und hinab nach Rüdesheim
Wenig später erreichen wir das Niederwald-Denkmal, auf dem Germania thront und die müden, ermatteten und völlig nass geschwitzten Wanderer keines Blickes würdigt. Zugegeben: Auch wir haben nicht viel Aufmerksamkeit für sie übrig, sie ist bei Weitem nicht unter den Top 10 der schönsten Anblicke der vergangenen fünf Tage. Das ist die Seilbahn, die vor uns über die Weinberge hinab nach Rüdesheim führt, zwar auch nicht, doch erscheint sie uns in diesem Augenblick unglaublich verlockend.
Wir nehmen noch einmal auf der Karte und live vor uns den weiteren Weg in Augenschein: In Serpentinen schlängelt er sich ohne Aussicht auf Schatten oder Abwechslung hinab durch die Weinberge. Davon haben wir heute genug gesehen. Wir entscheiden uns für den Wanderfrevel und nehmen die Seilbahn hinab.
Von der Talstation dauert es nicht lang, bis wir unser feudales Final-Hotel erreichen, wo wir uns erstmal ausgiebig ausruhen und frisch machen, ehe wir uns auf einen Streifzug durch das so oft gerühmte und portraitierte Rüdesheim begeben. Und wer bisher dachte, ich sei mit dieser Etappe des Rheinsteigs wenig freundlich ins Gericht gegangen und sich darob unangenehm berührt fühlt, der möge hier nun den Bericht abbrechen. Es gibt viele schöne Lobgesänge auf dieser Seite. Doch nun folgt das pure Entsetzen.
Groteske Posse vor toller Kulisse
Auf unserer Erkundungstour durch das mittelalterliche Städtchen kehren wir in mehreren Gaststätten und Biergärten ein und überall bietet sich dasselbe Bild: Hier wird ein Theaterstück aufgeführt. Die Kulisse dafür bildet die zweifelsohne wunderschöne Stadt am Rhein, doch die Posse, die hier gegeben wird, ist so plump und so volkstümlich-tumb, dass es einem ganz schwindelig werden kann.
Das größte Grausen packt mich, als wir im Juwel Rüdesheims, der Drosselgasse einen Biergarten besuchen. Der Wein ist nahezu ungenießbar, die in ein Dirndl gezwängte Servicekraft, versteht außer den Begriffen der Speisekarte kein Wort von dem, was wir sagen.
Das hat sie mit den Musikern gemein, die auf der Bühne zum allzu offensichtlichen Halb-Playback deutsche Schlager und Volkslieder zum Besten geben. Mit einem Slang und einer Betonung, die jeden Muttersprachler schon nach wenigen Worten erkennen lässt, dass man keine Ahnung , ob es im Liedtext ums Wandern, um Liebe oder das Waldsterben geht. Auch diese Musiker-Darsteller sind übrigens allesamt in feinsten bajuwarischen Zwirn gewandet.
Kafka meets Trester
Nichts gegen Volkstümelei – man kann es mögen oder nicht. Noch weniger gegen die tüchtigen Menschen, die hierher kommen, um für einen mutmaßlich kargen Lohn eine anstrengende Arbeit zu verrichten. Aber diese Kombination wirkt in ihrer konstruierten und offensichtlich nur auf amerikanische und japanische Touristen ausgelegten absurd schrägen Darbietung von dem, was man hier scheinbar für Tradition hält, als sei sie einem Werk Kafkas entlehnt.
Als der Gitarrist kräftig in die Saiten langt, aber auch nicht ansatzweise eine Gitarre zu hören ist, bestelle ich wider besseren Wissens einen Tresterbrand, um den Musiker in mir zum Schweigen zu bringen. Schon als ich am Glas rieche, bereue ich diese Entscheidung, Sekunden später läuft mir der Tropfen die Kehle herunter und mir ein kalter Schauer über den Rücken.
Verstärkung aus Toronto
Statt der Musik lauschen wir so gut es geht dem Nachbartisch, denn dort wird ein ganz erstaunlicher Zungenschlag gesprochen. Wir sind uns nicht ganz sicher, ob es sich um Englisch oder Französisch handelt, zu laut ist die Musik. Am Ende gehen wir zu der munteren, sehr bunt gemischten Runde und erkundigen uns einfach. Beides war irgendwie richtig: Kanadier auf Europareise. Allesamt im gesetzten Rentenalter, nur einer der Runde sticht heraus, ein Geschichtslehrer aus Toronto und etwa in unserem Alter. Er begleitet seine Großmutter auf der Reise durch Ancient Europe und von nun an uns durch die Rüdesheimer Nacht.
Gleich drei Tage in Deutschland sind Teil der Reise: Berlin, München und – Rüdesheim. Und er fällt aus allen Wolken, als wir ihm erklären, dass weder die Herren auf der Bühne, noch die Dame im Dirndl aus Deutschland stammen oder auch nur die Sprache beherrschen. Als wir ihm vermitteln, dass Dirndl und Trachten nicht nur in Berlin unüblich sind. Als wir ihm sagen, dass nur zehn Kilometer entfernt ein tatsächlich leckerer Riesling serviert wird. An der entgeisterten Miene des gebildeten Mannes lesen wir ab, dass das hier aufgeführte Schauspiel für Außenstehende offenbar doch sehr viel überzeugender dargeboten wird als für uns.
Ich hätte große Lust, noch sehr viel mehr über dieses groteske Theater zu schreiben, will aber nicht in Redundanz verfallen und beende den Abend dort, wo er auch für uns fünf endete: Im einzigen Irish Pub der Stadt. Bei einem Guiness.
So wurde ich zum Wanderer
So unversöhnlich garstig die letzten Absätze auch geklungen haben mögen, so sehr hat mich – und meine Mitwanderer – doch die gesamte Tour in ihren Bann gezogen. Der Rheinsteig hat uns die Welt des Wanderns eröffnet, die uns völlig für sich eingenommen hat. Fünf Tage lang legten wir mehr als hundert Kilometer nur zu Fuß zurück, trotzten kleineren Widrigkeiten, meisterten gemeinsam Anstrengungen und genossen grandiose Wander- und Weinmomente. An die Arbeit, an alltägliche Probleme dachte dabei keiner auch nur eine Sekunde. Völlig klar war daher schon, bevor wir auch nur nach Hause zurückgekehrt waren: Im nächsten Jahr gehen wir wieder los. Vielleicht sogar noch einmal an den Rhein?
Bis heute gilt übrigens: Der Rheinsteig ist bislang der schönste Fernwanderweg, den ich je das Vergnügen hatte, zu wandern.
Ohrwurm für diese Wanderung: Highway to hell
Warum will ich das wandern? Ich weiß es wirklich nicht. Ich würde diese Tour nie wieder gehen. Vielleicht ist es in der entgegen gesetzten Richtung besser zu gehen, wesentlich abwechslungsreicher wird die Strecke aber auch dann nicht ausfallen und Rüdesheim bleibt mir ein Graus. Mag jeder selbst entscheiden…
Bewertung
Natur ★ ★ ★
Ausblicke ★ ★ ★ ★ ★
Abwechslung ★ ★
Romantik ★ ★
Kafka-Faktor ★ ★ ★ ★ ★
INFOS
Etappenwanderweg, ca. 20,4 km lang
Höhenmeter: 930 m
Gehzeit: 7 Stunden
Schwierigkeit: schwer
Start: Ortskern Lorch
Alle Etappen der Rheinsteigwanderung
Rheinsteig: Braubach bis Kamp-Bornhofen
Rheinsteig: Kamp-Bornhofen bis St. Goarshausen
Rheinsteig: St. Goarshausen bis Kaub
Rheinsteig: Von Kaub nach Lorch
Oh ja, ein Wechselbad der Gefühle löst auch bei mir zuweilen der Rheinsteig, wie alle Wanderwege, aus. Es wird doch Zeit für eine Auszeit auf einem Fernwanderweg, stelle ich bei Bildern und Text fest.
Für mich wird es auch wieder höchste Zeit für einen Fernwanderweg – glücklicherweise geht es auch am Samstag gleich schon los: zum Malerweg in der Sächsischen Schweiz, auf den ich mich schon wie verrückt freue 🙂
Viel Spaß dort!! Ich freue mich auf deine Berichte. Sie sind sehr unterhaltsam formuliert.
Danke, das motiviert mich sehr 🙂 Ich werde selbstverständlich berichten!