Wir kommen aberwitzig schlecht vorbereitet und wir wissen es. Es ist für alle vier Wanderer die erste große Etappen-Tour, eigentlich die erste nennenswerte Berührung mit dem Wandern überhaupt. Fünf Tage werden wir den Rheinsteig gehen, rund 100 Kilometer insgesamt und pro Tag teils über 1000 Höhenmeter. Gerade mal eine einzige Probewanderung im Teutoburger Wald haben wir vorher absolviert und die hatte gerade mal halb so viele Höhenmeter. Danach haben wir uns alle Wanderstöcke besorgt, denn die Muskelschmerzen waren von einem anderen Stern.
Nun startet also unsere Fünf-Tages-Tour durch das Obere Mittelrheintal von Braubach bis nach Rüdesheim und ganz ohne Sorge sind wir nicht. Am Abend zuvor haben wir nach unserer Ankunft jeder zaghaft zwei Alster getrunken und sind früh im Bett verschwunden – das Beste, was wir nun noch an Vorbereitung machen konnten wahrscheinlich.
Einstieg und Aufstieg zur Marksburg
Wir beginnen unsere heutige Etappe von Braubach nach Kamp-Bornhofen mit der Suche nach dem Einstieg in den Rheinsteig. Dabei verlaufen wir uns gleich das erste Mal. Das trägt nicht zur Beruhigung bei. Doch schließlich ist der Aufstieg zur Marksburg oberhalb von Braubach gefunden und es passiert etwas Wunderbares: Alle Sorgen um unsere Fitness sind mit einem Schlag verschwunden.
Nicht, weil wir etwa den Anstieg so spielend meistern, sondern weil der Weg uns sofort für sich einnimmt. Wir erreichen beschwingt die weiß strahlende Marksburg, die vor dem blauen Himmel wie in die Landschaft gemalt wirkt. Überhaupt wirkt bei rund 20 Grad, Sonne und inmitten der Maiblüte alles unwirklich schön.
Marksburg und Zecherweg
An der Marksburg angekommen, stellen wir fest, dass wir früher auf den Beinen sind als die Burgherren. Eine gute halbe Stunde müssten wir noch warten, bis die Burg ihre Türen öffnet. Dafür ist der Elan, der uns inzwischen gepackt hat, viel zu groß, die Hummeln im Hintern zu unruhig. Wir gehen weiter.
Zwar hatten wir gerade mal zwei Alster am Vorabend, den „Zecherweg“ begehen wir nun aber trotzdem. Der führt entlang eines Hangs, gesäumt von Trockenmauern zur Linken und einem pittoresken Panoramablick auf den Rhein zur Rechten schließlich steil hinauf bis zum „Lusthäuschen“, einer schmucken Schutzhütte. Immer wieder bleiben wir stehen, drehen uns um und sehen förmlich zu, wie die Marksburg in immer weitere Ferne rückt. So deutlich zu sehen, wie wir uns aus eigener Kraft fortbewegen, klar erkennbar Strecke zurücklegen, das beflügelt uns.
Lusthäuschen und Sauerbrunnen
Am Lusthäuschen legen wir eine kurze Pause ein. Die ist auch nötig, denn der knackige Anstieg hierher war nicht ohne und doch nur ein Vorgeschmack auf das, was uns noch erwartet. Auch das ist uns klar. Denn das stete Auf und Ab, das haben wir schon dem Höhenprofil entnommen, ist das Markenzeichen des Rheinsteigs. Na gut, der Rhein natürlich auch. Wir genießen noch ein wenig den atemberaubenden Blick auf den Rhein und die inzwischen so weit entfernt auf dem Berg thronende Marksburg, dann ziehen wir weiter.
Der Rheinsteig führt uns nun wieder bergab bis hinunter zum Sauerbrunnen. Hier in der Klamm ist es angenehm kühl. Allmählich wird uns nicht nur von der Anstrengung ganz anständig warm. Zunächst nur langsam, dann immer fordernder führt uns der Weg bergauf.
Wo steckt Kate Winslet?
Schließlich in engen, felsigen Serpentinen, die uns nicht den Gefallen tun, im Schatten üppiger Bäume sich zu winden. Sonne und Anstieg lassen uns keuchen. Und doch ist es eine angenehme Anstrengung, denn wir ahnen schon, was uns oben auf dem Dinkholder Berg auf 282 Metern Höhe erwartet.
Und tatsächlich ist die Aussicht von hier noch spektakulärer. Der Blick reicht über Osterspai bis zum Bopparder Hamm, auf Schloss Stolzenfels und die Marksburg und über Braubach bis nach Lahnstein. Dazwischen der blau schimmernde Rhein, gemächlich tuckernde Kähne und das alles weit, weit zu unseren Füßen. Fehlen nur noch eine Reling und Kate Winslet für den König-der-Welt-Moment!
Zur Filsener Lei
Der Rheinsteig nimmt uns wieder bei der Hand und führt uns erneut bergab, vorbei an der Kipplei bis hin zur Rheinsteighütte Osterspai, wo wir auf den Wanderbänken einen kurzen Stopp einlegen und in der Sonne unser Picknick und die Aussicht genießen.
Wir setzen unsere Tour fort, ziehen in einiger Entfernung an Schloss Liebeneck vorbei und passieren schließlich Filsen. Die Steigungen halten sich seit dem Dinkholder Berg in einem moderaten Rahmen. Das soll sich nun wieder ändern. Denn vorbei an der Marienkapelle geht es nun noch ein letztes Mal knackig bergauf bis zur Filsener Lei. Hier ändert sich aufgrund der Rheinschleife auch der Blick auf den Fluss und wir müssen uns erst einmal neu satt sehen an dem Schauspiel im Rheintal.
Wir kämpfen uns zum Ziel
Inzwischen, nach rund 18 Kilometern und rund 1000 Höhenmetern, sind wir bereits ziemlich geschlaucht. Allen ist inzwischen mehr als einmal der Gedanke gekommen, es könnte uns morgen ein schlimmer Muskelkater plagen. Wir nehmen die nächstmögliche Zuwegung runter nach Kamp-Bornhofen. Erst später erfahren wir, dass der Rheinsteig eigentlich noch einmal um den Ort herum und erst dann herunter geführt hätte, aber uns ist das alles schon ziemlich egal. Wir brauchen ein kaltes Getränk, eine Dusche und vor allem müssen wir die Wanderschuhe ausziehen.
Wir schlagen uns durch den scheinbar selten begangenen Pfad, hüfthohes Gras umwuchert den Zuweg. In Kamp-Bornhofen angekommen ist es noch ein ganzes Stück über Asphalt zu laufen, ehe wir das Gartenhotel Schreiner erreichen. Hier haben wir für die nächste Nach unsere Zimmer gebucht. Das Gepäck wartet bereits auf uns und die Dusche ist eine paradiesische Wohltat.
Wir rechnen mit dem Schlimmsten
Chef des Hauses und Schnodderschnauze Hans-Werner versorgt uns mit einem deftigen Essen und kalten Getränken. Die Alster-Zurückhaltung des Vortags ist vollständig aufgegeben. Wir wollen unseren Tagessieg über den Rheinsteig feiern! Wer denkt da an morgen?
Ohnehin ziehen wir längst ernsthaft in Erwägung, die Etappe des kommenden Tages mit ihren 24 Kilometern zu halbieren, nach der Hälfte den Abstieg zu machen und den Rest mit einem Taxi zu fahren. Wir rechnen alle mit dem schlimmsten Muskelkater aller Zeiten.
Finale mit Franz-Josef
Hans-Werner empfiehlt uns, noch der Klosterstube im Ort einen Besuch abzustatten, denn er möchte Feierabend machen. Außerdem zeige sein Freund Franz-Josef dort das DFB-Pokal-Finale auch auf Großbildleinwand und das würden wir doch sicher sehen wollen. Da wir wenigstens einen Fußballbegeisterten in der Runde haben, folgen wir seinem Rat. Und weil er uns kein Bier mehr bringen mag.
Wenig später sitzen wir mit Franz-Josef, einigen weiteren Gästen und Andechser Doppelbock am Tisch. Da sich der Wirt wie ich selbst nur mäßig für das schwarzweiße Leder interessiert, kommen wir schnell ins Gespräch. Er erzählt, dass er hin und wieder mit seinem Freund und Stammgast, der mir gegenübersitzt und etwas Ähnlichkeit mit Derrick hat, auf dem Akkordion zusammen Musik macht. Nach dem zweiten Doppelbock fällt mir das Klavier ein, das ich in einer Ecke der Klosterstube gesehen hatte und eine Idee ist geboren.
Und so sitzen nur Minuten nach dem Abpfiff unser Wirt und Derrick nebst Schifferklavieren um das Piano und ich selbst greife in die Tasten. Wir rocken Westernhagen, feiern Torfrock und geben gar Simon & Garfunkel. Die Idee, den Refrain von The Boxer in „Loreley lei lei le lei“ umzudichten, wäre mir vermutlich ohne den inzwischen ganz anständigen Schwips wohl nicht gekommen. Da Samstagabend ist, ist die Kneipe voll und die Stimmung, angeheizt durch unsere Musik, überbordend gut. Es wird ziemlich spät, denn wie durch Geisterhand steht immer ein frisch gezapftes Bier auf dem Klavier… Auf dem Heimweg habe ich heimlich etwas Angst vor der nächsten Etappe.
Ohrwurm für diese Wanderung: River deep, mountain high
Warum will ich das wandern? Weil diese Etappe mit der Marksburg und den vielen Aussichtspunkten, der sportlichen Herausforderung und der besuchenswerten Klosterstube am Schluss eine der schönsten Touren ist, die man sich denken kann..
Bewertung
Natur ★ ★ ★ ★ ★
Ausblicke ★ ★ ★ ★ ★
Abwechslung ★ ★ ★ ★ ★
Romantik ★ ★ ★ ★ ★
Doppelbock-Faktor ★ ★ ★ ★ ★
INFOS
Rundwanderweg, ca. 18,5 km lang (inkl. Zuweg in Kamp-Bornhofen)
Höhenmeter: 1000 m
Gehzeit: 6 Stunden
Schwierigkeit: schwer
Start: Ortskern Braubach
Alle Etappen der Rheinsteigwanderung
Rheinsteig: Kamp-Bornhofen bis St. Goarshausen
Rheinsteig: St. Goarshausen bis Kaub
Rheinsteig: Von Kaub nach Lorch
Rheinsteig: Von Lorch nach Rüdesheim
4 thoughts on “Rheinsteig: Braubach bis Kamp-Bornhofen”