Fragt man Wanderer, was sie an ihrem Hobby besonders schätzen, was sie dabei besonders glücklich macht, ist die Antwort oft: das Gefühl von Freiheit. Insbesondere Bergwanderer scheinen dieses Gefühl häufig zu verspüren und das am Stärksten in Gipfelnähe und am Gipfelkreuz angekommen. Aber warum verleiht uns Wandern das Gefühl von Freiheit?
Eine wissenschaftliche Erklärung dafür scheint es nicht zu geben. Oder es hat einfach noch nie jemand untersucht. Und doch können ja so viele Wanderleute nicht irren. Der vermutlich prominenteste unter ihnen allerdings hat dazu eine deutlich miesepetrigere Ansicht: Es gebe da oben weder Freiheit noch Glück zu finden, sondern nur die Erkenntnis, dass sich ein Gipfel an den nächsten reihe. So wie im Leben auch. „Das extreme Bergsteigen hat darum keinen Nutzen. Es ist allein die Herausforderung, das Bemühen um das Ziel und nicht das Ziel an sich, worauf es ankommt“, nölte Reinhold Messner erst 2015 der ZEIT in den Notizblock. Also doch nix zu finden da heroben?
Was ist Deine Freiheit?
Vielleicht. Vielleicht aber auch nur für den Messner Reinhold. Denn für ihn beginnt die Freiheit einfach nur schon viel früher. „Die Freiheit, aufzubrechen, wohin ich will“, heißt eines seiner Bücher. Klar, wenn einer schon bei der Entscheidung überhaupt mal irgendwohin aufzubrechen frei ist, dann wird ihm der Gipfelsturm kaum noch Freiheit vermitteln können. Er fühlt sich ja schon frei.
Doch tatsächlich trifft Messner mit seinem Buchtitel auch einen anderen Punkt, nämlich die Definition von Freiheit. Freiheit wird in der Regel als die Möglichkeit verstanden, ohne Zwang zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten auswählen und entscheiden zu können. Und das beschreibt das Wandern wiederum ziemlich gut. Zwar folgen wir dabei recht artig den Wegmarkierungen oder unserem GPX-Track, doch wollten wir, könnten wir uns auch völlig anders entscheiden. Denn schließlich ist der Weg das Ziel. Also Hauptsache: Weg. Bzw. Hauptsache weg.
Westernhagen vs. Wagner
Denn das bringt uns zum zweiten Punkt, der uns das Gefühl von Freiheit vermittelt. Der zweite Grund, warum uns besonders in luftiger Höhe plötzlich Endorphine durchströmen und uns beim Blick vom Gipfel ins Tal das Herz hüpft. Denn wir lassen alles, was uns unfrei macht, alles was uns einengt, verpflichtet genau dort zurück – im Tal. Wenn wir auf dem Gipfel stehen und hinab sehen, wird uns klar, wie weit wir uns von allen Unfreiheiten aus eigener Kraft entfernen können, wenn wir nur wollen! Wir blicken hinab auf die Unfreiheit zu unseren Füßen. Sie ist besiegt!
Wenn einer unten im Tal von Freiheit erzählt, dann eher auf die mitleidheischende, etwas verkaterte Westernhagen-Weise. Hier oben auf dem Gipfel aber hat Freiheit mindestens Wagner’sche Ausmaße! Eine Ode an die Freiheit vermeinen wir zu hören und fühlen uns, als hätten wir gerade mindestens das Rheingold geborgen und den Drachen besiegt.
Keine Frage der Höhe
Dabei muss es kein 3000er sein, der uns dieses Gefühl vermittelt. Als ich im Jahr 2016 eine Woche wandern auf Mallorca war, hatte ich mein bislang stärkstes Freiheitserlebnis auf einer Höhe von gerade mal 965 Metern über dem Meeresspiegel auf dem Cornador Gran. Der Blick hinab nach Sollér am Fuße des Berges mit dem Meer im Hintergrund – ich hätte stundenlang dort stehen und einfach hinab schauen können. Ich fühlte mich freier als jemals zuvor. Zu erklären vermag ich das nicht. Vielleicht hatte es auch einfach nur etwas damit zu tun, dass sich der Cornador uns zwei Tage mittels widriger Witterungsverhältnisse und extrem glatten Steinpisten energisch widersetzt hatte.
Ob es euch nun geht wie Messner oder wie mir – saugt das Gefühl von Freiheit ganz tief in euch auf, haltet es fest und konserviert es euch. Zur Not im Butterbrotdöschen. Besser aber im Herzen. Wenn ihr euch dann eines Tages besonders unfrei, besonders unter Druck fühlt, denkt an diesen Wanderwundermoment zurück. Denkt daran, dass ihr frei sein könnt und frei sein werdet, sobald ihr das nächste Mal eure Wanderschuhe schnürt.
Aber immer weiter
Nimmt das Herz den Lauf,
Auf der Himmelsleiter
Steigt die Sehnsucht auf.